Von Natascha Unger, Qi Gong und Achtsamkeits-Trainerin mit eigenen Kursen im Biolino Institut
Kannst du dich hier wiedererkennen?
Der Wecker klingelt und gleich gehst du gedanklich den Tag terminlich durch. Du hüpfst schnell unter die Dusche, isst eine Kleinigkeit, machst die Kinder fertig für Kindergarten und Schule und fährst in die Arbeit. Hast du auch den Ausflug nicht vergessen und das Mitteilungsheft unterschrieben? Am Weg in die Arbeit beantwortest du die ersten Sms- und Whats App-Nachrichten. Am Arbeitsplatz warten (wie immer) viel zu viele Aufgaben. Du beantwortest Mails und führst während dessen das ein oder andere Telefonat. Zwischendurch isst du schnell zu Mittag und notierst dir gedanklich schon die Einkaufsliste fürs Abendessen. Und war da nicht noch der Kinderarzttermin und die Theateraufführung des Ältesten? Dienstschluss: du holst die Kinder ab, kümmerst dich um ihre Hausaufgaben und kochst nebenbei. Irgendwann möchtest du auch noch etwas Sport hineinquetschen und dich mit Freunden treffen oder vielleicht noch kurz dem Hobby nachgehen. Ach, und für den Partner solltest du ja eigentlich auch etwas Zeit übrig haben. Jeden Tag das gleiche - irgendwann fällst du todmüde ins Bett.
Beim Blick auf den Kalender stellst du überrascht fest, dass das Jahr bald wieder zu Ende geht. Was hast du alles erlebt? Das eine oder andere fällt dir noch ein, vieles schon gar nicht mehr. Im Urlaub hast du alle Sehenswürdigkeiten abgeklappert, immer mit dem Blick auf die Uhr, damit sich alles geplante ausgeht und du ja nichts versäumst. Und hoppla, schon war die entspannteste Zeit im Jahr vorbei und du sehnst dich gleich am ersten Tag in der Arbeit wieder nach dem nächsten Urlaub.
Gefangen im Hamsterrad
Wer kennt diese oder ähnliche Situationen nicht? Die Beanspruchungen des Alltags werden immer größer und die dauernde Erreichbarkeit lässt uns kaum zur Ruhe kommen. Die Zeit für dich selbst hast du (wenn überhaupt noch vorhanden) zu kurzen Momenten degradiert. Dein Körper rebelliert regelmäßig, was du aber entweder ignorierst oder mit kurzfristigen Maßnahmen abstellst – du hast ja keine Zeit um krank zu sein. Ab und zu kommen jedoch diese Momente, diese ganz leisen Stimmen, die dir sagen, dass alles zu viel ist, dass es nicht mehr schaffbar ist. Du sackst erschöpft zusammen und für kurze Zeit gewinnen die aufgestauten Emotionen die Oberhand. Aber bald hast du dich wieder unter Kontrolle. Weiter geht’s! Schwäche darf doch nicht gezeigt werden und die anderen schaffen es ja auch.
Möchtest du dieser täglichen Spirale entkommen und mehr Wert in dein Leben bringen? Ich lege dir Achtsamkeit wärmend ans Herz. Sie stellt für die Bewältigung dieser Beanspruchungen eine große Hilfe dar.
Was heißt Achtsamkeit?
Achtsamkeit bedeutet, sich auf das Hier und Jetzt zu fokussieren. Das Grundprinzip dabei ist: es darf alles so sein, wie es ist – ohne es zu bewerten. All unsere Wahrnehmungen werden vom Gehirn aufgrund der im Laufe unseres Lebens gemachten Erfahrungen interpretiert und bewertet. Bei Achtsamkeit geht man wieder zurück zu den Sinnen und versucht dabei, diese Bewertung des Gehirns auszuschalten bzw. sich dessen bewusst zu werden. Das bedeutet, zu fühlen, zu schmecken, zu hören, zu riechen und den Körper wahrzunehmen ohne es gleich wieder in einer vorgefertigten Schublade abzulegen. Das ist jedoch schwieriger als man vermuten würde, denn diese automatisierte Interpretation des Gehirns dauert ungefähr 1/10 000 Sekunde!
Wie praktiziert man Achtsamkeit?
Es geht bei der Achtsamkeit vor allem darum, sich selbst und allem rundherum bewusst zu werden. Dies funktioniert am besten über unsere Sinne. Ein gutes Beispiel ist achtsam zu essen: wirklich jeden Bissen genießen, wahrnehmen, wie etwas schmeckt, wie sich das Essen auf der Zunge anfühlt, usw., und dabei vollkommen bei dieser einen Sache zu sein und nicht nebenbei Zeitung lesen, fernsehen, telefonieren, usw.
Tägliche Hausarbeiten nicht als Muss ansehen, sondern diese bewusst durchführen, beim Geschirr abwaschen nicht gleichzeitig telefonieren, beim Bügeln sich nicht vom Fernseher berieseln lassen, beim Hausputz ganz bewusst die Gedanken abschalten, sich nur darauf konzentrieren, was man gerade tut und wie es sich anfühlt.
Ist dir vielleicht schon aufgefallen, dass die besten Ideen gerade in solchen Momenten auftauchen, wo es in deinem
Kopf ganz ruhig ist.
Achtsamkeit am Morgen
Beginne den Tag mit Achtsamkeit: springe nach dem der Wecker geläutet hat nicht gleich hektisch auf, sondern bleibe ein paar Minuten im Bett liegen. Atme bewusst ein und aus und spüre in deinen Körper hinein. Es wird dir gut tun, den Tag mit Entschleunigung zu startet!
Deine Ich-Zeiten im Alltag
Wenn du ein Mensch mit vollem Terminkalender bist, empfiehlt es sich, Ich-Zeiten darin einzutragen. Egal wie viel Zeit du dir dafür nimmst, wichtig dabei ist nur, dass du sie ungestört
verbringen kannst.
Zum Beispiel mit Meditation, Bodyscan, Entspannungstechniken oder meditativen Bewegungsformen, wie Qi
Gong, Taijiquan oder Yoga. Hierbei kannst du Energie tanken, die du für den Alltag nur allzu gut brauchen kannst.
Hör auf dich und deinen Körper
Einer der wichtigsten Faktoren ist, auf seinen eigenen Körper zu hören und zu spüren, was einem gut tut und was nicht. Nimm bewusst wahr, wie du dich fühlst. Sowohl körperliche Beschwerden (die ja immer Warnzeichen sind) als auch deine Gefühle, solltest du nicht ignorieren. Nimm sie ernst und akzeptiere, dass sie da sind. So kann eine Loslösung davon beginnen.
Overload im Gehirn
Unser Gehirn produziert rund 60.000 Gedanken pro Tag. Diese sind meist entweder in der Vergangenheit oder in der Zukunft angesiedelt. Die Vergangenheit kann nicht mehr verändert werden, auch wenn man es noch so gerne möchte, und die Zukunft lässt sich nicht wirklich beeinflussen. Es hilft dir auch nicht, wenn du dir über etwas Sorgen machst, was vielleicht auch niemals eintreffen wird.
Hinterfrage deine Termine und Aufgaben
- Wie viel davon muss wirklich sein?
- Kannst du einigen Terminen weniger Zeit widmen?
- Müssen manche Aufgaben wirklich getan werden?
Viel hängt dabei von deiner Einstellung ab: es macht nun mal einen großen Unterschied, ob man zur Arbeit gehen MUSS – man braucht ja schließlich (immer mehr) Geld für die vielen (vielleicht auch unnötigen?) Dinge des Lebens – oder ob man sich dazu entscheidet, heute in die Arbeit zu gehen, weil man es MÖCHTE (um sich gewisse Annehmlichkeiten leisten zu können).
Hinterfrage deine Prioritäten
- Was ist wichtig für mich und warum?
- Gibt es vielleicht Dinge in meinem Leben, die nur deswegen einen großen Stellenwert haben, weil es die gesellschaftlichen Regeln vorschreiben?
- Wie viel tue ich nur deswegen, weil ich von Perfektionismus getrieben werde?
- Was ist vielleicht nur deswegen bedeutend für mich, weil es mir von den Medien suggeriert wird?
- Wie viel kann ich einfach loslassen in meinem Leben, ohne dass es mir wirklich fehlen würde?
Das alles hört sich in der Theorie sehr leicht an: einfach all die unnötigen Gedanken und jahrelang bestehenden, festgefahrenen Muster loslassen. In der Praxis ist dies doch ein schwieriger und langwieriger Prozess, der sich aber auf alle Fälle auszahlt.
Stress lässt sich in unserem heutigen Leben kaum noch vermeiden.
Den Unterschied machen jedoch die Sichtweise und die jeweilige Art des Umgangs mit diesem.
SOS-Achtsamkeitsübung
Wenn dir mal wieder tausend Gedanken im Gehirn herumspuken und du vollkommen gefangen bist im Hamsterrad, dann halte einfach mal kurz inne, spüre in deinen Körper hinein und nimm deinen Atem
bewusst wahr, ohne ihn dabei kontrollieren zu wollen.
Das führt dich sehr schnell zurück in das Hier und Jetzt. Lass alles so sein wie es nun mal gerade ist. Auch wenn es ganz anders ist, als du es gerne hättest.
Das Gegenteil von der Achtsamkeit ist der innere Widerstand: sei freundlich und sanft zu dir selbst, lass deinen Perfektionismus mal außen vor, beurteile oder verurteile dich nicht, sondern lass Raum für Akzeptanz, Wertschätzung und Respekt dir selbst gegenüber.
Ganz wesentlich dabei ist: bleib realistisch! Es funktioniert am Anfang nur sehr schwer, die Gedanken bei den alltäglichen Arbeiten, die normalerweise automatisch ablaufen, zu beruhigen oder bei Entspannungstechniken den mentalen Lärm abzuschalten. Es ist in der Arbeit oder in der Familie nicht immer machbar, sich nur auf diese eine Aufgabe zu konzentrieren und manchmal stürzt nun mal gerade alles auf einen ein – aber das ist auch in Ordnung.
Fang mit Kleinigkeiten an und mit der Zeit, wenn es dir etwas leichter fällt, wird sich deine Achtsamkeit automatisch ausweiten. Dabei ist es wichtig, dass du dich selbst beobachtest und auch liebevoll wahrnimmst, wenn es nicht funktioniert. Auch das ist Achtsamkeit.
Ich freu mich, dich in meinem Qi Gong Kurs begrüßen zu dürfen, oder dich beim Biolino Baby-Café zu sehen.
Alles Liebe,
Natascha
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Markus (Mittwoch, 26 April 2017)
Hi,
sehr schöner Artikel, danke! Ich erkenne mich darin eindeutig wieder :)
Ich finde es auch sehr wichtig, dass man sich regelmäßig, am besten täglich Auszeiten für sich nimmt. Vorallem dann, wenn man das Gefühl hat keine Zeit zu haben.
Es gibt ja das schöne Sprichwort: Nimm dir jeden Tag eine halbe Stunde Zeit, um zu meditieren, außer wenn du es eilig hast, dann nimm dir eine Stunde Zeit.
Gruß,
Markus